Der Gesetzgeber repariert und ersetzt unwirksame AVE - verfassungswidrig ?
Mit den Beschlüssen des BAG vom 21.9.2016 und 25.1.2017 wurden die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV-Bau) für die Kalenderjahre 10/2007-12/2014 für rechtsunwirksam erklärt. Die Rechtswirksamkeit der AVE für das Kalenderjahr 2015 war nach verschiedenen Veröffentlichungen in der Literatur mindestens fraglich geworden.
Folge der genannten BAG-Beschlüsse war eine drohende Insolvenz für die Sozialkassen des Baugewerbes, die sich ganz erheblichen Rückforderungsansprüchen zu Beiträgen aus den betroffenen Kalenderjahren ausgesetzt sahen und zu Rückstellungen gezwungen waren.
Außergewöhnlich schnell reagierte der Gesetzgeber und schuf mit zwei Gesetzen (Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz (SokaSiG) vom 16. Mai 2017 (BGBl. I S. 1210) und Zweites Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz (SokaSiG2) vom 1. Sept.2017 (BGBl.I Nr.61 S. 3356)) eine neue Rechtsgrundlage für die Sozialkassensysteme; mit den Gesetzen wurden die Tarifverträge – ähnlich der AVE – auf alle Betriebe erstreckt, die vom Geltungsbereich der Tarifverträge erfasst sind und für die in den Gesetzen keine Einschränkungen vorgesehen wurden.
Die danach zu stellende Frage war und ist, ob diese Sozialkassenverfahrensicherungsgesetze wegen der rückwirkenden Geltung und eventueller weiterer Probleme eventuell verfassungswidrig sind. Hierzu gibt es zwischenzeitlich eine Vielzahl von Literaturmeinungen, wobei naturgemäß für Pro und contra gefochten wird.
Die bisher vorliegende Rechtsprechung hat die „Reparaturarbeit“ des Gesetzgebers als rechtswirksam bewertet. Die Rechtswirksamkeit der AVE für das Kalenderjahr 2015 wurde vom BAG schon im März 2018 bestätigt (BAG 21. März 2018 - 10 ABR 62/16).
In mehreren Entscheidungen haben die maßgeblichen Landesarbeitsgerichte Frankfurt und Berlin die Verfassungsmäßigkeit des Sozialkassenverfahrensicherungsgesetzes bestätigt (Hessisches LAG, Urteil vom 17. August 2018 – 10 Sa 180/18SK; LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Januar 2018 – 9 Sa 999/17).
Und auch das BAG ist der Auffassung, dass die durch § 7 SokaSiG normierte rückwirkende Geltungserstreckung des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe verfassungsrechtlich unbedenklich ist ( BAG, Urteil vom 30.10.2019 - 10 AZR 38/18).
Das letzte Wort wird hier das Bundesverfassungsgericht haben; dort sind mehrere Verfahren anhängig.
Für betroffene Betriebe, die Post von der Soka-Bau bekommen und deren Beitragsverpflichtung fraglich ist, bleibt derzeit also weiterhin nur die sorgfältige Klärung, ob der jeweilige Betrieb tatsächlich unter den Geltungsbereich der Bautarifverträge fällt, ob eventuell eine Ausnahmeregelung greift oder ob eine AVE-Einschränkung helfen kann.